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Wahl zur Bremer Bürgerschaft - spielt das Wetter bei der Wahlbeteiligu

aktuell, 25.05.2003

Heute wird die Bremer-Bürgerschaft bei recht freundlichem Wetter (zumindest im Tagesverlauf) gewählt. Führt dies zu einer niedrigen Wahlbeteiligung ?

Die Zahl der Wähler wird bei jeder Wahl aufmerksam beobachtet, seitdem die Wählerzahlen in den letzten fünfzehn Jahren teilweise erschreckend zurückgegangen sind. Nicht selten finden sich nach Wahlen interessante Begründungen für die geringe Wahlbeteiligung.

Nach der Kommunalwahl am 12.9.1999 mit über 30 Grad und Sonnenschein gab es eine Wahlbeteiligung von 54 %. Natürlich war für viele Politiker das heiße Badewetter schuld, daß es eine so geringe, nie dagewesene Wahlbeteiligung in NRW gab.

Ähnlich auch die Äußerungen nach einer heißen Frühjahrskommunalwahl 1992 in Berlin, die der Regierende Bürgermeister mit den Worten kommentierte : „Wir haben eins auf die Bademütze bekommen „ (vgl. Berliner Zeitung, 28.5.1992).

Auch schlechtes Wetter kann nach Meinung vieler Politiker zu einer geringen Wahlbeteiligung führen. Als Paradebeispiel gilt die Vereinigungsbundestagswahl 1990,die zu einer der geringsten Wahlbeteiligung seit dem 2. Weltkrieg führte. Nur 79 % der Wähler stimmten über das erste Gesamtdeutsche Parlament nach dem Krieg ab. Das kalte Winterwetter mit etwas Schnee hätte die Wähler von den Wahllokalen abgehalten, hieß es in einigen Zeitungen im Rückblick auf die Wahl.

Das Wetter als wahlspezifischer Faktor

Das Wetter kann mit Sicherheit nicht die Wahltrends der letzten Jahre und Jahrzehnte erklären, aber bei einzelnen Wahlen ist es durchaus denkbar, daß es trotz Briefwahl einige Wahlmüde von der Wahl abhält.
Besonders Politiker und Journalisten (vgl. 1) glauben, daß das Wetter einen starken Einfluß auf die Wahlbeteiligung hat.

Dabei könnten sehr schlechtes Wetter und sehr schönes Wetter ähnlich wirken. In beiden Extremfällen könnten die Menschen von der Wahl abgehalten werden, da sie bei schlechtem Wetter den Gang vor die Tür und bei gutem Wetter das Freizeitvergnügen außerhalb der Wahllokale vorziehen. In der Theorie zum Wählen (vgl. 3) könnte das Wetter ebenfalls eine Rolle spielen, denn bei schlechtem Wetter könnten die subjektiven Kosten, also der Gang zum Wahllokal, hoch sein. Ebenso kann bei gutem Wetter der verlorene Freizeitwert den Nutzen der Wahl bei weitem überwiegen.
Besonders der über alles geschätzte Wert der Freizeit könnte ein Türöffner für die geringere Wahlbeteiligung bei gutem Wetter sein.
Die nach von Alemann unter die Kategorie „konjunkturelle Nichtwähler“ (vgl. 3) fallenden Wähler wären vom Wetter vielleicht beeinflußbar. Sie müssen besonders motiviert werden, um zur Wahl zu gehen. Diese wachsende Gruppe ist vielleicht wetterfühlig ?

Zu dem Einfluß des Wetters gibt es bisher eine einzige Studie, die die Wahlbeteiligung in der Stadt Wiesbaden von 1946 bis 1991 auswertete und keinen Zusammenhang zwischen dem Wetter und der Wahlbeteiligung fand (vgl. Brennecke, S, 45 ff.). Selbst bei Kommunalwahlen gab es keinen sichtbaren Zusammenhang, so daß die Autorin zum Schluß kam, daß motivierte Wähler unabhängig vom Wetterzustand wählen gehen.

Um dem Wettereinfluß auf die Spur zu kommen, untersuche ich Daten auf allen Wahlebenen. Dabei werden bei den Bundestagswahlen 1994 und 1998 über hundert Wahlkreise verglichen.

Zunächst möchte ich die Wahlbeteiligungen auf Bundesebene mit dem Wetter vergleichen.

Wahldatum Wahlbeteiligung Wetter

14.8.1949 79 wolkig, 20 Grad
6.9.1953 86 heiter, 20 Grad
15.9.1957 88,0 Schauer, 12 Grad
17.9.1961 88,0 sonnig, 29 Grad
19.9.1965 87,0 Schauer, 15 Grad
28.9.1969 87,0 wolkig, 16 Grad
19.11.1972 91,0 heiter, 0 Grad
3.10.1976 91,0 heiter, 15 Grad
5.10.1980 89,0 bewölkt, 13 Grad
6.3.1983 89,4 sonnig, 14 Grad
25.1.1987 85,4 bedeckt, 3 Grad
2.12.1990 78,7 bedeckt, 0-5, Schneer.
16.10.1994 81,9 wolkig, 8-11 Grad
27.9.1998 83,9 wolkig, Schauer, 18-22


Das Wetter bei den Bundestagswahlen war durchaus gemischt. So ziemlich jede Wettersituation kam bei den 14 Wahlen seit der Gründung der BRD vor.

Am 17.9.1961 fand eine Bundestagswahl bei tropisch heißen Temperaturen von fast 30 Grad statt. Die Wahlbeteiligung blieb wie vier Jahre zuvor bei Schauerwetter und nur 12 Grad bei 88 %. Vier Jahre später sank die Wahlbeteiligung 1965 und 1969 bei kühleren Temperaturen und wolkigem Schauerwetter um 1 % ab.
Auf Bundesbene läßt sich eine Demobilisierung der Wähler durch das heiße Wetter 1961 nicht nachweisen, ganz im Gegenteil war die Wahlbeteiligung sogar noch höher, als bei den folgenden Wahlen, die bei sehr wechselhaftem Wetter stattfanden.

Winterwetter hält auch nicht unbedingt von der Wahl ab, wie das Jahr 1972 beweist. Bei 0 Grad und heiterem Himmel gab es eine der höchsten Wahlbeteiligungen der bundesdeutschen Geschichte.

Würde man nur die Wahlen nach 1980 betrachten, hätte man bei der alleinigen Betrachtung der Bundestagswahlbeteiligungen in ganz Deutschland zum Schluß kommen müssen, daß das Wetter eine Rolle spielt. Die Winterwahlen 87 und 90 hatten nur geringe Wahlbeteiligungen, so daß man hier bei einer oberflächlichen Betrachtung dem Wetter die schlechte Beteiligung in die Schuhe schieben könnte, da ja die Wahlen 94 und 98 bei milderen Temperaturen wieder bessere Beteiligungen brachten.

Wenn das Wetter eine Rolle bei der Wahlbeteiligung spielt, dann müßte sich das auch auf Wahlkreisebene zeigen. In den Orten mit dem schlechtesten Wetter müßte die Wahlbeteiligung im Vergleich zur Vorwahl geringer sein.

Insgesamt stieg die Wahlbeteiligung bei der Wahl 1998 um knapp 2 % an.
Nehmen wir die Münchener Wahlkreise der Jahre 1994 und 1998. Die Wahlbeteiligung legte in München zwischen 2,3 und 4,5 % zu. Am höchsten war die Zunahme in der Münchener Innenstadt mit 4,5 %. Das Wetter war an diesem Septembertag 1998 mit knapp unter 20 Grad und einem ziemlich bewölkten Himmel mit 2 Stunden Sonne nicht gerade sehr freundlich. 1994 lachte im Oktober bei 10-13 Grad fast 9 Stunden lang die Sonne. Trotz des einigermaßen vergleichbaren Wetters gab es 1998 einen deutlichen Anstieg der Wahlbeteiligung.

Umgekehrt war die Situation in den Düsseldorfer Wahlkreisen. Hier war es 1994 grau und bedeckt und es gab in den Frühstunden Sprühregen. Die Temperatur war mit 12 Grad mild. Erst zum Abend lockerte es auf. 1998 war es mit 6 Stunden Sonne sehr sonnig und mit 21 Grad sehr warm. Im Prinzip drehten sich die Wetterverhältnisse von München um. Trotzdem legte auch in Düsseldorf die Wahlbeteiligung um 2,2 % zu.

Auch in Hamburg zeigt sich ein ähnliches Bild. 1994 gab es am Wahltag einen herrlichen Sonnentag mit 9 Stunden Sonne. 1998 stieg die Wahlbeteiligung bei nur 3 Stunden und wechselhaftem Wetter um 1-2 % an.

In den neuen Ländern lassen sich ebenfalls keine Wettereffekte feststellen. Die Wahlkreise in Leipzig und Dresden konnten im Vergleich 1998 zu 1994 einen Beteiligungssprung von 9 % verzeichnen. Dabei war das Wetter an beiden Wahltagen 1994 und 1998 vergleichbar wechselhaft mit der gleichen Sonnenscheindauer und ähnlichen Regenstunden. Allerdings gab es einen Temperaturunterschied von 5 Grad, da es im Oktober 1994 schon etwas kühler war.

Ebenso zeigt sich, daß keineswegs die Wahlkreise mit dem schönsten Wetter die größte Steigerung der Wahlbeteiligung haben. In Nordfriesland gab es am Wahltag 1998 so gut wie keine Sonne, in NRW schien die Sonne zwischen 4 und 6 Stunden lang. Trotzdem lag die Differenz der Wahlbeteiligung 94/98 in Herford und Minden-Lübbecke mit sechs Sonnenstunden und in Nordfriesland mit 0,1 Stunden bei beiden Orten mit etwas über 2 % gleich.

Diese Beispiele auf Wahlkreisebene widerlegen eindrucksvoll, daß das Wetter einen signifikanten Einfluß auf die Wahlbeteiligung auf Bundesebene hat. Somit profitiert auch keine Partei von Sonnenschein und Regen. Wenn es auf dieser Ebene einen Einfluß gibt, ist er so gering, daß er von anderen Faktoren überlagert wird.

Natürlich kann es sein, daß Bundestagswahlen zu wichtig sind, so daß das Wetter keine Rolle spielt. Die Motivation zur Wahl überwiegt die Unbequemlichkeit auf dem Weg zum Wahllokal.
Die folgende Statistik zeigt das Wetter an den Landtagswahltagen in NRW und die entsprechende Wahlbeteiligung.

Wahldatum Wahlbeteiligung Wetter

18.6.1950 72 heiter, 20 Grad
27.6.1954 73 sonnig, 14 Grad
6.7.1958 77 heiter, 15 Grad
8.7.1962 73 wolkig, 17 Grad
10.7.1966 77 Regen, 20 Grad
14.6.1970 74 heiter, 17 Grad
4.5.1975 86 wolkig, 10 Grad
11.5.1980 80 heiter, 20 Grad
12.5.1985 75 heiter, 20 Grad
13.5.1990 72 Regen, 10 Grad
14.5.1995 64 heiter, 10 Grad
14.5.2000 57 sonnig, 30 Grad

Auch hier läßt sich kein Zusammenhang zwischen dem Wetter und der Wahlbeteiligung erkennen. 1980 und 1985 schwankt die Wahlbeteiligung bei gleichem Wetter um 5 %. Bei Regen liegt die Wahlbeteiligung 1966 ebenso hoch wie bei heiterem Wetter 1958. Das heiße Wahlwetter im Jahr 2000 ließ viele vermuten, daß das Sommerwetter eher zum Baden lockte, als ins Wahllokal. Dies ist allerdings unwahrscheindlich da 1985 bei der Landtagswahl im südlichen NRW durchaus 23-24 gemessen wurden. Hier zeigte sich in den lokalen Wahlbeteiligungen kein Rückgang der Wahlbeteiligung durch das warme Wetter.

Untersucht man auch auf Landtagsebene die Wahlkreise zeigen sich ebenfalls keine Unterschiede, die sich durch das Wetter erklären lassen. Total verregnete Wahlkreise hatten 1990 die gleiche Beteiligung wie Wahlkreise, die nur 1-2 Stunden Regen hatten. Das Wetter hat auch auf Landtagswahlen keinen meßbaren Einfluß.

Nun könnte natürlich auf kommunaler Ebene oder bei Europawahlen das Wetter Einfluß ausüben. Diese Wahlen werden von den Wählern als nicht so wichtig eingeschätzt und erreichen schon seit Jahrzehnten nur geringe Wahlbeteiligungen.

Wahldatum Wahlbeteiligung Wetter

9.11.1952 76 wolkig, 8 Grad
28.10.1956 77 wokig, 7 Grad
19.3.1961 78 heiter, 4 Grad
27.9.1964 76 sonnig, 20 Grad
9.11.1969 69 Regen, 8 Grad
4.5.1975 zusammen mit der Landtagswahl
30.9.1979 70 heiter, 18 Grad
30.9.1984 66 Regen, 14 Grad
1.10.1989 66 Regen, 13 Grad
16.1.1994 zusammen mit Bundestagswahl
12.9.1999 54 sonnig, 30 Grad

Auch hier zeigt sich bei der Kommunalwahl (NRW-Wahlbeteiligungsmittel) kein offensichtlicher Zusammenhang mit dem Wetter. Auch die Analyse unterschiedlicher Wahlkreise mit unterschiedlichen Wetterlagen bringt keinen eindeutigen Zusammenhang mit dem Wetter. Deutlich wird an den Kommunalwahlergebnissen in NRW, daß bei ähnlichen Wetterbedingungen wie 1964 und 1979 die Wahlbeteiligungen ganz unterschiedlich ausfallen können. Immerhin liegt die Differenz bei der Wahlbeteiligung bei beiden Wahlen bei 6 %. Es sind andere generelle und spezifische Faktoren die die Wahlbeteiligung bestimmen.

Bei der Europawahl, eine aus Wählersicht unbedeutendsten Wahlen überhaupt (vgl. 5), läßt sich für NRW folgende Wahlbeteiligung bei folgenden Wetterlagen aufzeigen :

Wahldatum Wahlbeteiligung Wetter

10.6.1979 67 heiter, 8 Grad
17.6.1984 59 wolkig, 15 Grad
18.6.1989 62 sonnig, 24 Grad
12.6.1994 60 wolkig, 15 Grad
13.6.1999 44 bedeckt, 16 Grad

Wiederum zeigt sich, daß es kein optimales Mobilisierungswetter gibt. Die sonnig sommerlichen 24 Grad 1989 führen nicht zu einer geringeren Wahlbeteiligung als der wolkige Himmel bei 15 Grad am 12.6.1994.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß aus den untersuchten Daten kein Wettereinfluß abzuleiten ist. Wenn dieser vorhanden ist, versteckt er sich gut. Selbst bei „unbedeutenden Wahlen“ auf kommunaler Ebene ist kein Wettereinfluß spürbar.

Bei der Bremer Bürgerschaft dürfte also das Wetter keine Rolle spielen.
  Karsten Brandt
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