Das
Wetter - der meist überschätzte
Faktor bei der Wahlbeteiligung
In unserer kleinen Studie zeigt sich - analog zur
einzigen Vorläuferuntersuchung (die sich allerdings nur
auf eine Stadt bezog) aus dem Jahr 1991 (vgl. Brennecke),
dass das Wetter keinen Einfluß auf die Wahlbeteiligung
hat.
Dieses
Ergebnis ist wahrscheinlich für Politiker oder
Journalisten überraschend. Besonders für Politiker
dient das Wetter als Ausrede, dass nur wenige Menschen zu
den Wahlurnen zu bewegen sind. Schon 1994 stellte Eishold
in seiner Studie in Stuttgart unter Nichtwählern fest,
dass nur 31 bekennende Nichtwähler von über 1400 das nasskalte
Wetter als Grund für die fehlende Wahlmotivation
angaben. Somit spielte für nur etwa 2 % aller
Nichtwähler das Wetter eine Rolle.
Das Wetter ist in unserer freizeitorientierten
Gesellschaft sicherlich ein wichtiger Faktor, den Wahlakt
beeinflusst es aus verschiedenen Gründen aber nur wenig.
Wer den wetterabhängigen Weg zum Wahllokal scheut, kann
sich per Briefwahl bequem zu Hause entscheiden. Ist eine
Wahl spannend und möchte man unbedingt seine Stimme
geltend machen, wird dies auch getan, unabhängig ob es
schneit oder regnet.
Die Kosten
des schlechten Wetters" im Sinne des Ansatzes
von Downs (1957) fallen nicht ins Gewicht. Dieses
Ergebnis zeigte schon eine andere Studie: 1995 konnten
bei einer Landtagswahl über 1000 Wahlberechtigte zu
Fragen zu Kosten- und Nutzen der Wahl befragt werden
(vgl. Kühnel/Fuchs, S.327 ff.).
Nur
2,8 % von 918 Befragten geben an, dass sie die
Wahl von wichtigerem abhält.
Für
92 % spielt die Mühe ins Wahllokal zu gehen oder
die Briefwahl zu nutzen keine Rolle.
19 %
sehen bei einer Wahl Entscheidungskosten und 64 %
erkennen diese Kosten nicht.
72 %
sehen es als Pflicht an, in einer Demokratie zu
wählen, da sie sonst kaputt gehen würde
14 %
sehen dies nicht so.
84 %
sehen eine niedrige Wahlbeteiligung als eine
Gefahr für die Demokratie
86 %
geben an, dass die Verwandten wählen. 71 %
bestätigen, dass die Freunde wählen
66 %
geben an, nicht zur Wahl zu gehen, würde ihrer
Person widersprechen.
39 %
geben an, beim Versäumen der Wahl ein schlechtes
Gewissen zu haben,
44 %
haben dies schlechte Gewissen nicht
Das Paradox
des Wählens entsteht durch die falsche Wahrnehmung der
subjektiven und objektiven Wahrscheinlichkeit, denn
immerhin 74 % der Menschen glauben, mit der eigenen
Stimme im Parlament etwas verändern zu können.
Opportunitätskosten und Entscheidungskosten und damit
auch nicht das Wetter, haben überhaupt keinen Einfluß
auf die Teilnahmeabsicht (vgl. Kühnel/Fuchs, S.340). Das
Bewußtsein von Wahlkosten tritt in der BRD offenbar nur
als Beiprodukt bei einem geringen langfristigen
Wahlnutzen oder beim Fehlen eines generellen
Parteiendifferentials auf.
Es zeigt sich, dass es zwei Effekte auf die
Wahlbeteiligung gibt :
Die Beteiligung im sozialen Umfeld.
Bedeutung der eigenen Stimme.
Daneben spielt noch der langfristige Beteiligungsnutzen
und das Parteiendifferential eine Rolle.
Eine weitere
Ursache für eine denkbare Unterschätzung des Effektes
von Opportunitätskosten kann darin liegen, dass solche
Kosten eher im Zusammenhang mit unvorhergesehbaren und
zufälligen Ereignissen am Wahltag eintreten und daher
bei der Bildung der Wahlbeteiligungsabsicht nicht
perzipierbar sind. Deutlich Effekte auf die tatsächliche
Wahlbeteiligung sind aber auch dann nicht zu erwarten.
Es ist ein Fehlschluß, den Wahlakt wie eine ökonomische
Entscheidung zu sehen. Es ist eher eine
Präferenzentscheidung (expressiver Ausdruck) gegen oder
für etwas!
Mit der zunehmender Individualisierung dürften auch die
Wahlbeteiligungen weiter zurückgehen. Situative
Einschätzungen der Wahl spielen eher eine Rolle. Die
Wichtigkeit der Wahl wird für die Wahlbeteiligung
entscheiden (vgl. Kühnel/Fuchs, S.349).
Nur in ganz seltenen Fällen kann das Wetter die
Wahlbeteiligung vielleicht beeinflussen. Die Auswirkungen
bleiben für uns aber verborgen, da viele andere
längerfristige Trends und andere wahlspezifische
Faktoren bei weitem mehr Bedeutung haben.
So scheint Mitte der achtziger Jahre der Trend zu
niedrigen Wahlbeteiligungen durch soziologische
Veränderungen ausgelöst worden zu sein. Mit dem Wegfall
der Systemalternative Ostblock sank auch die
Bürgerpflicht Wahlbeteiligung ab. Besonders
bei jüngeren Wählern (vgl. Ritter/Niehaus, 1991) sinken
die Wahlbeteiligungen seit Mitte der achtziger Jahre
dramatisch. Die Jugend scheint nicht mehr an die Wahlurne
zu locken zu sein.
Besonders Landtags- und Kommunalwahlen und ganz zu
schweigen von der Europawahl verlieren dramatisch an
Wählern. Andererseits lässt dies natürlich auch den
Schluß zur Normalisierung zu, an die Anpassung an
internationale Verhältnisse.
Die Schwankungen, um diesen durch soziologische
Veränderungen ausgelösten Abwärtstrend, durch
wahlspezifische Faktoren, zu erklären erscheint
schwierig. Die Wahlhierarchie ist ein dominierender
Faktor. Alle anderen Einflußfaktoren, wie die Knappheit
des Ergebnisses, der Medieneinfluß und wie hier das
Wetter sind kaum meßbar.
Die deutschen Wähler sind also nicht
wetterfühlig!
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