Klima, 28.01.2016
Teil 1: So wird das Menschenrecht auf Nahrung und die Freiheit von Hunger mit Füßen getreten.
Die Welthungerkrise ist kein neues Problem und sie verschärft sich weiter. Das unfassbare Leid, das die hungernden Menschen sehr lange schon durchleiden, muss uns immer bewusst sein.
In der Deklaration der FAO (Food and Agriculture Organization) der UN (Rom 1996) wurde das Menschenrecht auf Nahrung und die Freiheit von Hunger völkerrechtlich verankert.
Weltweit sterben täglich 25.000 hungernde Menschen, vor allem Kinder und es gibt weiter 1.000.000.000 Hungernde. Dagegen gibt es mehr als 1,5 Milliarden übergewichtige Erwachsene.
Die Erde befindet sich in einer Schieflage mit steigender Armut und ungerechter Verteilung. Zudem werden große Mengen an Nahrungsmitteln, die 1/3 der Gesamtmenge an Nahrung ausmachen, einfach weggeworfen. Sie wären, bei effektiver und gerechter Verteilung, ausreichend für 870 Millionen hungernde Menschen.
Um die rasch wachsende Zahl der Menschen zu ernähren, muss die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden. Dies geschieht allerdings vielfach unter Ausbeutung der Ressourcen, die auf künftige Hungerkrisen hinausläuft. In vielen Entwicklungsländern leben bis zu 4/5 der Menschen von der Bewirtschaftung ihrer Ackerflächen, dennoch machen Bauern 2/3 der unterernährten Menschen aus.
Jedes Land soll sich aus erster Hand selber ernähren, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wird jedoch durch sinkende landwirtschaftliche Beihilfen für die Entwicklungsländer, aber auch durch die unfaire Subventionierung der Industrienationen seitens der EU und Amerikas, zunehmend erschwert. Dies betrifft vor allem Afrika und Asien. Für die Entwicklungsländer wird wegen der Billig- bzw. Dumpingpreise des Westens die Eigenproduktion für den Inlandmarkt zu teuer oder unrentabel; so werden die armen Länder noch ärmer. 2012 wandten 53 der ärmsten Staaten für die steigenden Lebensmittelimporte 60% der Entwicklungshilfe des Vorjahres auf.
Die Hungerkrise wird auch verschärft durch die schwer zu begrenzende Bevölkerungsexplosion. Nach Einschätzung der UNO wird es im 21. Jahrhundert auf der Erde 10,5 Milliarden Menschen geben, aktuell befinden wir uns bei einer
Anzahl von mehr als 7 Milliarden Menschen.
Die globale Überbevölkerung steht auch in direktem Zusammenhang mit der zunehmenden Versiegelung der Böden. Ein Beispiel: Mumbai hat etwa 20 Mio. Einwohner, Berlin nur ca. 3,5 Millionen. Ganze Megastädte entstehen, um der steigenden Bevölkerung eine Wohn- und Arbeitsstätte zu geben. Dies hat zur Folge, dass die Böden, wie die Umwelt insgesamt, große Schäden erleiden.
Zudem in besonderem Maße hungerauslösend wirken die unmoralischen Aktivitäten der transnationalen Unternehmen und Einzelhandelsriesen, durch welche die Bauern erst Marktzutritt erlangen können. Diese Konzerne ziehen den
Gewinn aus niedrigen Agrarpreisen auf dem Weltmarkt und exportieren auch in die armen Länder. 1,5 Milliarden Kleinbauern stehen 500 Einzelhandelskonzernen gegenüber, die den Markt kontrollieren, und mit an der Preisspirale drehen und bewirken, dass z.B der Kaffeepreis der Bauern unter ihre Produktionskosten fällt.
Einige ausländische Unternehmen fördern zum Teil auch die Privatisierung des Gemeinguts Wasser, sodass die eigene Bevölkerung in den betroffenen Ländern an Wassermangel leidet. Für die Kaffeeanbauländer, mit ihren 2,5
Millionen weltweit produzierenden Bauern, ist der Endverkaufsgewinn für die Bauern gerade einmal 7-10% des Umsatzes. Ein bitteres Geschäft...
Gleichzeitig verdoppelte sich der Gesamtwert der Einzelhandelsverkäufe. Die Folge dieser Abhängigkeit ist die Armut hunderttausender landwirtschaftlicher Produzenten, die in der Zerstörung ganzer Familiendorfstrukturen endet. Das Vorgehen ist unfair und unmenschlich. Fairer Handel würde den Bauern ihren Lebensunterhalt sichern und ihre Würde wiedergeben.
Einen weiteren wichtigen Punkt stellt das Land-Grabbing dar. Internationale Nahrungsmittelkonzerne kaufen Flächen auf, um ihre Eigenproduktion
und ihre Ernährungssicherheit oder den Ersatz fehlender eigener Ressourcen
zu gewährleisten.
Seit 2004 wurden mehr als 50 Mio. ha bebaubare Flächen in armen Entwicklungsländern gekauft oder gepachtet. Nur 30% davon dienen der Nahrungsmittelproduktion, der Rest dem Anbau von Baumwolle, Rosen, Agrotreibstoffen, u.a.. Wegen der dadurch fehlenden Anbauflächen in den „Gastländern“ können die Entwicklungsländer ihren Eigenbedarf und Ernährungssicherheit nicht mehr decken. Mangelernährung, Hunger und Krankheiten bei unzureichender medizinischer Versorgung sind die Folge. Kleinbauern, Hirten und indigene Völker müssen ihre jahrzehntelang bewirtschafteten Flächen unter Zwang verlassen.
In Äthiopien mussten nach Human Rights Watch 1,5 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Zukünftige globale Kriege um Nahrungs- und Wasserressourcen stehen uns bevor.
J. Diouf, der frühere Generaldirektor der FAO in der UN (1994-2011) bezeichnete diese Situation als Form des Neokolonialismus. Auch werden durch die Industrialisierung auf den Flächen ganz neue landwirtschaftliche Methoden angewandt, die die traditionelle Landwirtschaft zerstören und die Böden erschöpfen. Jean Ziegler (ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das
Recht auf Nahrung) bezeichnet das weltweite Hungerproblem als „den größten Skandal des 3. Jahrtausends". Es handelt sich um ein "immer wieder von neuem begangenes Verbrechen gegen die Menschheit.“
Lesen Sie am Sonntag Teil 2: Wege aus der Welthungerkrise
(Autorin: Esther Reinecke / Bonner Umweltzeitung April/Mai 2015)
Redaktion Team-Info Team-Kontakt |