aktuell, 09.11.2004
Kein Eis am Nordpol – dieses Szenario könnte schon sehr bald eintreten. Ein aktueller Bericht des Arktischen Rates kommt zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel in der Arktis rasant, quasi im Zeitraffertempo, zuschlägt. Das Klimaprogramm des Rates „Arctic Climate Impact Assessment“ (ACIA) legt in dieser Woche den bislang umfassendsten Bericht zum Klimawandel in der Arktis vor. Der Arktische Rat, ein Forum aus den acht Anrainerstaaten, hat mehr als 250 Wissenschaftler an der Untersuchung beteiligt. Sie kommen zu dem Schluß, dass die Temperaturen in der Polregion zwei bis drei Mal so stark ansteigen werden wie in anderen Teilen der Welt. Das sommerliche Packeis ist auf dem Rückzug und könnte bis zum Ende des Jahrhunderts völlig verschwunden sein. Auch im Winter wird die Eisdecke erheblich dünner. Die Folgen sind dramatisch: Eisbären, deren Lebensraum das Packeis ist, dürften bis zum Ende des Jahrhunderts zum Aussterben verurteilt sein. Durch abschmelzende Gletscher ist mit einem Anstieg des weltweiten Meeresspiegels um etwa einen Meter zu rechnen. Die gewaltigen Mengen an Schmelzwasser könnten die Meeresströmungen beeinflussen, selbst eine Störung des Golfstromes schließen die Forscher nicht aus.
Für den WWF ist das ein geradezu „apokalyptisches Szenario“. „Die Folgen werden nicht nur für die Polregion gravierend sein, sondern sich auf der ganze Welt auswirken. Die Industriestaaten müssen mehr tun, um ihren Treibhausgasausstoß möglichst schnell herunterzufahren“ so Dr. Peter Prokosch, ehemaliger Direktor des WWF Arktisprogramms und heutiger Geschäftsführer des WWF Deutschland.
Der WWF als ständiger Beobachter im Arktischen Rat sieht in dem Dokument eine eindeutige Grundlage, die zum Handeln zwingen müsse. „Gerade die USA, die eine Veröffentlichung des Berichts vor den Präsidentschaftswahlen verhindert haben, belegen mit ihren eigenen Wissenschaftlern die Tragweite des Klimawandels und die notwendigen Konsequenzen“, erläutert Prokosch. Die arktischen Staaten, darunter neben den USA auch Kanada und Russland, seien für etwa 30 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Es sei höchste Zeit, dass der Klimaschutz auch von diesen Ländern konsequenter vorangetrieben werde. Nur so lasse sich die gravierenden Folgen abschwächen.
Der Bericht beschreibt klar, dass die klimatischen Veränderungen im Norden auch für den Rest der Welt erhebliche Auswirkungen haben: Ein Anstieg des Meeresspiegels bedroht rund 17 Millionen Menschen, deren Heimat nur einen Meter über dem derzeitigen Meeresspiegel liegt. Betroffen sind dem Bericht zufolge neben Bangladesh und Indien auch Florida und Louisiana.
Schon heute lässt sich in der Arktis ein dramatischer Temperaturanstieg beobachten. In den nächsten 100 Jahren ist mit einer weiteren Zunahme um vier bis sieben Grad zu rechnen. Außer dem Packeis ist auch die arktische Schneedecke auf dem Rückzug. Die Wissenschaftler erwarten, dass sich dieser Trend noch verstärkt. Weniger Schnee bedeutet, dass weniger Sonnenwärme reflektiert und der Planet zusätzlich aufgeheizt wird. Ein Teufelskreis.